Wir waren selbst und live am Karlsplatz, an dem Abend als er später von der Polizei geräumt wurde. Die Lage bis 23 Uhr: viele feiernde Jugendliche, die sich selbst ihre Getränke mitgenommen hatten, die sich auch selbst ihre Musikbeschallung mitgenommen hatten. Viele kleine Gruppen fügten sich zu Mosaiksteinchen einer großen Party am Karlsplatz. Und obwohl doch einiges an Alkohol im Spiel war, gab es keine Streitereien oder gar Ausschreitungen. Die Polizei übte sich in nobler Zurückhaltung. Aber irgendwann spätabends eskalierte die Situation. Sogar ein Platzverbot wurde am nächsten Tag verhängt.
Die Frage nach dem Warum hat schon viele beschäftigt und beschäftigt uns schon lange. Wir bringen eine Zusammenstellung von Kommentaren zum Thema: Welchen Platz haben Jugendliche im öffentlichen Raum. Und: Sind sie die wahren Verlierer der Pandemie?
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„Ganz Wien hasst die Polizei“, skandierten die jungen Menschen, als die Exekutive an jenem Samstag gegen ein Uhr morgens den Karlsplatz räumte. „Ganz Wien“, das ist natürlich eine unzulässige Verallgemeinerung. Noch. Denn wenn die Polizei weiterhin mit so wenig Fingerspitzengefühl gegen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorgeht, könnte die Stimmung bald kippen. Und es steht viel auf dem Spiel, meint Anna Goldenberg in der „Presse“.
Das Einschränken von Sozialkontakten trifft die Jungen weit härter, weil das Sozialleben in diesem Alter eine andere Rolle spielt und wichtigere Funktionen erfüllt als bei anderen. In der Phase der Jugend gebe es mit den Entwicklungsphasen viel stärkere Veränderungen als bei Älteren, sagt Stadtpsychologin Cornelia Ehmayer-Rosinak im Gespräch mit ORF.at. In diesem Alter sei ein verlorenes Jahr in den Lockdowns eine „ganz andere Form von Verlust“ und eine „ganz andere Welt“.
Katharina Kirsch-Soriano, Leiterin der Stadtteilarbeit der Caritas der Erzdiözese Wien, verwies gegenüber ORF.at wiederum darauf, dass es vor allem demokratiepolitisch interessant sei, „wer zu öffentlichen Räumen Zugang hat, wer sie nutzen kann, wer sie mitgestalten kann“. Auch für Jugendliche, die oftmals über wenig „eigene“ Räume verfügen, biete er Möglichkeiten, sich Räume anzueignen, andere zu treffen, sich zu entwickeln. Gerade während der Lockdowns seien „Raumressourcen – zumindest temporär – nicht mehr oder nur sehr hochschwellig zugänglich“ gewesen. Das habe vor allem die getroffen, die eben nicht „Homeoffice und Homeschooling im Zweitwohnsitz im Haus am Land verbringen können“.
Marco Pogo von der Bierpartei kritisierte auf Puls 24 das Vorgehen der Polizei. Er habe zwar „null Verständnis“, wenn jemand eine Flasche wirft, aber am Karlsplatz seien Jugendliche zusammengekommen, die „von der Regierung vergessen wurden“. Bei den Öffnungsschritten seien Biergärten und Hobbyfußballvereine berücksichtigt worden, die Jugendlichen hätten für die Gastronomie aber teils kein Geld und würden Plätze brauchen, an welchen sie sich „im sicheren Rahmen“ treffen können, so Pogo. „Zum Glück“ hätten sich die Jugendlichen am Karlsplatz getroffen, sagte Pogo, denn in der Pandemie hätten wir gelernt, dass wir viel Platz brauchen würden.
Die Polizei ist zwar in der Pflicht, Straftaten zu verfolgen. Wenn Gefahr aber nur wegen der Konfrontation mit der Polizei besteht, dann ist es besser, diese zieht sich in so einer Situation vorläufig zurück.“
Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger auf derstandard.at
Mit einer Verlängerung der Gastronomiesperrstunde und vor allem der Öffnung der Clubs und Discos (einmal mehr sind es die Freizeitangebote, die fast ausschließlich von Jungen genutzt werden, die am längsten pandemiebedingt geschlossen sind) wird das Treffen im öffentlichen Raum wohl ein bisschen an Dringlichkeit verlieren. Doch auch angesichts der finanziellen Beeinträchtigung der Jugendlichen durch die Pandemie und deren Bekämpfung werden konsumzwangfreie Ort kaum an Zulauf verlieren – das sieht man auch in anderen europäischen Städten.