Wien am 27. August 2010. Ein starker Regenguss am Abend sollte die Stadt verändern. Nicht eigentlich der Regen selbst. Sondern die Wetterlage schlechthin. Zumindest glaubten es die Wiener und Wienerinnen, dass es ein Wetterphänomen war. Jedenfalls riss die Wolkendecke vom Wienerwald kommend kurz vor Sonnenuntergang auf. Und die Sonne zeigte ihre volle August-Wirkung. Sie strahlte. Sie strahlte den regnenden Himmel an – und erzeugte einen Regenbogen, der sich selbst spiegelte. Der größte Regenbogen, den die Stadt jemals gesehen hatte. Und dazu erstrahlte Wien in einem goldenen Glanz, der zuletzt in Zeiten des Wiener Kongresses zu sehen war. Gemischt mit den aufleuchtenden Straßenlaternen ergab das ein Licht-Gemenge, in dem jeder Strahl im Drei-Viertel-Takt durch die Regentropfen tanzte. Und auch die typisch grantigen Mienen der Wiener wurden durch diese Aufhellung des Regenbogens in ein ganz anderes Licht gestellt.
Der Regenbogen verschwand im Schlund der schwarzen Nacht – aber er verschwand nicht aus den Köpfen, er verschwand nicht aus den Mienen, er verschwand nicht aus den sich sammelnden Regenpfützen, er verschwand nicht. Er blieb im Geiste über der Stadt und sollte die Stadt fürderhin begleiten, wie ein Vollmond, der niemals verschwindet, ein Vollmond, der sich über 24 Stunden, 7 Tage die Woche, 31 Tage des Monats und mindestens 365 Tage des Jahres breitmacht über der Stadt, die sonst nicht die goldene Stadt genannt wird, weil diese Zuschreibung schon eine andere Stadt trägt.
Und einige Bewohner dieser Stadt, die ganz im Angesicht des Regenbogens gestanden waren, ihn betrachtet hatten, mit ihm in die Höhe geschaut hatten und erst spät die Dunkelheit erblickt hatten, wurden in die Farben des Regenbogens eingebettet und konnten diesen Farben nicht mehr entrinnen. Sie schritten ab diesem Zeitpunkt mit einem anderen Blick durch alle 23 Bezirke der grauen Stadt und versuchten, alle Spektralfarben weiterzugeben, die ihnen vermittelt wurden.
Es war nicht leicht, weil die graue Stadt weitertrieb, weitertrieb in ihrem Trott, in der nur die Untergangsstimmung antonyme Farben zum Regenbogen hervorbrachte, weil sie von falschen Geistern auf die Verteidigung des „Wiener Bluts“ hingelenkt wurde von einem Menschen, in dessen Namen das polnische Wort für Furcht enthalten ist. Und diesem Umstand konnte sich keiner entziehen, und der sich entziehen konnte, hatte die Bedeutung des Regenbogens noch nicht ganz begriffen.
Diese wenigen Menschen in dieser Stadt, die zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht die goldene war, wurden durch die Inthronisierung des Regenbogens mitgezogen in eine andere Dimension. In eine Dimension, in der sie plötzlich alle Menschen, alle Tiere, alle Gehsteige, alle Straßen, alle Autos, alles was kreuchte, fleuchte und sich in dieser Stadt befand, in diesem goldenen Licht sahen. Unerkannt von den anderen, fast unverstanden. Sie glaubten stillzustehen inmitten des Trubels der Stadt, der sich weiterhin grau um sie legte. Und sie mussten erst lernen, andere Individuen mit dem goldenen Licht des Regenbogens bekanntzumachen. Das hieß für viele mit einer Einsamkeit umzugehen, weil die manische Dimension für viele in der Stadt auch durch den Regenbogen niemals zu erreichen ist.
Aber alle kämpften für die wenigen, die sie mitnehmen konnten in die neue Dimension, in die goldene Zeit, in der alle Sinne sich treffen und bündeln.
Dich aber habe ich ausgewählt, weil du diese Dimension mit mir teilen kannst. Und heute stehst du vor mir, erkennst dich selbst wieder, bist voller Sehnsucht und bist bereit für die neue Dimension – und darum kannst du mich umarmen. Das ist das goldene Zeitalter des Regenbogens, das niemals endet.